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Annatenzahlungen und Quellen der Studie
Ein weiterer Gegenstand unserer Untersuchungen des RG sind spätmittelalterliche Annatenzahlungen, die ebenfalls in den päpstlichen Kanzleiregistern verzeichnet sind. Für jede Pfründe mussten Gebühren an die Camera Apostolica entrichtet werden, die sogenannten Annaten, welche einen wichtigen Beitrag zur finanziellen Stabilität der Römischen Kurie leisteten. Die Gebühren richteten sich nach der Höhe des voraussichtlichen Einkommens einer Pfründe und betrugen ein halbes Jahreseinkommen, die entweder persönlich oder durch Dritte an der Kurie in Rom zu entrichten waren.
Der Fokus der Studie lag auf jenen Banken und Personen, die in diesem speziellen Finanzverkehr involviert waren. Das Repertorium Germanicum stellt dabei Quellen bis zum Jahr 1484 bereit, die in Form von Regesten gesammelt und überliefert wurden. Ziel der computergestützten Auswertung war es ein Netzwerkmodell des kurialen Zahlungsverkehrs im Pontifikat Sixtus‘ IV. (1471-1484) zu erstellen.
Methoden und Auswertungen
Mittels eines Parsers wurden die Daten anhand von Schlüsselbegriffen (wie z.B. per Manus, was den Einzahler der Gebühren in Rom kennzeichnet) gefiltert. Die Daten können unkompliziert gefiltert werden, weil die gleichförmigen Einträge über die Annatenzahlungen eine automatische Auslesung der Informationen vereinfachen. Die extrahierten Daten wurden in einer Datenbank gespeichert und können beispielsweise in einer CSV-Datei ausgegeben werden, die unter anderem die Belegnummer, das Datum der Finanztransaktion und die Namen des Annatenschuldners erfasst. Insgesamt wurden mit diesem Verfahren aus dem in TUSTEP ausgezeichneten zehnten Band des RG 500 Einzeleinträgen zu Annatenzahlungen deutscher Kleriker in Rom zwischen 1471 und 1484 extrahiert.
Dabei zeigte sich in Stichproben, dass damit noch keinesfalls alle Belege für Annatenzahlungen im RG X gefunden werden konnten und dass in den extrahierten Daten noch einige Fehler enthalten waren. Dies lag vor allem an den Variationen der Originalquelle durch die Schreiber der vatikanischen Akten und Inkonsistenzen der TUSTEP-Auszeichnung durch die Bearbeiter der Edition. Auf Basis dieser Daten wurde in einer Pilotstudie ein Netzwerkmodell entwickelt, in dem die konkreten Geldeinzahler an der Kurie mit ihren deutschen Auftraggebern verbunden sind.
In dem abgebildeten Netzwerk stellen die beteiligten Akteure die Knoten („nodes“) dar, während die Kanten („edges“) die Verbindungen zwischen diesen Personen, die Annatenzahlungen selbst sind. Diese wurden durch einen Einzahler, d.h. eine Bank oder auch eine Privatperson, für den Auftraggeber vorgenommen. Netzwerkanalytisch lassen sich einige Sternstrukturen (stars) identifizieren, wobei diese einzelnen stars voneinander isoliert waren. Besonders deutlich hervorgehoben sind die Franciotti- und die Spanocchi-Bank, die jeweils mit über 20 Kunden verbunden waren. Neben den Banken gab es auch eine Reihe von Privatpersonen, die für eine größere Anzahl von geistlichen Auftraggebern Einzahlungen vorgenommen haben – beispielsweise den Kurialen Heinrich Schönleben, der mindestens zehnmal als Einzahler fungierte.
Mindestes ebenso viel Beachtung verdient ein anderes Phänomen, welches sich aus der Visualisierung des Netzwerkes ableiten lässt. Dabei handelt es sich um die Verbindungen zwischen den stars, die sogenannten Brücken. Brücken entstehen dort, wo ein Kleriker verschiedene Personen beziehungsweise Bankhäuser für seine Zahlungen in Anspruch nahm. Personen, die eine Verbindung zwischen verschiedenen Sternstrukturen herstellen, werden in der Netzwerkanalyse „Makler“ genannt und ihnen kommt in Netzwerken eine wichtige Bedeutung zu, da sie Verbindungen zwischen ansonsten nicht verbundenen Gruppen herstellen.
Mathematisch-netzwerkanalytisch lässt sich diese Makler-Position vor allem in der Maßzahl der betweenness-Zentralität ausdrücken. In der folgenden Tabelle wird die betweenness-Zentralität der wichtigsten Akteure abgebildet:
Besonders beachtenswert sind die beiden Kurialen Melchior von Meckau und in geringerem Maße Vitus Meller, die beide eine sehr hohe betweenness-Zentralität aufweisen. Melchior von Meckau steht im Ranking aller Akteure nur knapp hinter den „professionellen“ Finanzakteuren der Salutati, Franciotti und Spanocchi, auf dem vierten Platz. Damit weist er eine höhere Zentralität auf als eine Reihe anderer Banken. Dies kommt vor allem dadurch, dass er seine Annatenzahlungen durch drei verschiedene Banken (Spanocchi, Gaddi und Salutati) sowie durch Vitus Meller vornehmen ließ. Vitus Meller trat ansonsten mehrfach als Einzahler von Annaten für Dritte auf, zudem schaltete einmal einen anderen Kleriker und einmal die Spanocchi-Bank für eigene Annatenzahlungen ein. Dieser zunächst erst einmal sehr abstrakte netzwerkanalytische Befund generiert die historische Hypothese, dass Meckau und Meller wichtige Figuren im kurialen Zahlungsverkehr der Zeit Sixtus´ IV. gewesen sind.
Ausblick und Nutzen der Studie
Diese Pilotstudie ist sehr klein dimensioniert und vorläufig, kann jedoch als ein „proof of concept“ dienen. Die verwendete Technologie, Data Extraction aus strukturierten Texten, löst hierbei ein Dilemma. Häufig beeinträchtigte die datengetriebene Forschung in der Geschichtswissenschaft - wie in diesem Falle die social network analysis – das bisher oft sehr unsichere Kosten-Nutzen-Verhältnis solcher Studien. Die Erhebung historischer Netzwerkdaten erfolgte bisher überwiegend manuell und der damit verbundene hohe Aufwand stand gegenüber dem zu erwartenden Erkenntnisnutzen zuweilen in einem fragwürdigen Verhältnis. Gut strukturierte Daten, die sich automatisiert oder semiautomatisiert (z.B.) in Netzwerkmodelle überführen lassen, bieten hier in Hinsicht der Forschungsökonomie entscheidende Vorteile.
Referenzen
Robert Gramsch-Stehfest: Von der Metapher zur Methode. Netzwerkanalyse als Instrument zur Erforschung vormoderner Gesellschaft. In: Zeitschrift für Historische Forschung 47 (2020), S. 1-39.