Hauptknoten des Pfründenbesitzes

Pfründenitinerare im Repertorium Germanicum

In der letzten Woche haben wir auf unserem Blog die Zahlungen von Annaten behandelt. Annaten wurden an die römische Kurie gezahlt, nachdem ein Antragssteller eine Pfründe erhalten hatte. In diesem Beitrag sollen verschiedene Beispiele für die Akquirierung von Pfründen sowie die örtliche Konzentration der Pfründen gezeigt werden. Ferner sollen die Karrierewege von Gelehrten vorgestellt werden, die im Spätmittelalter an der Universität Erfurt studiert haben. Basis dieser Studie ist eine umfangreiche prosopographische Untersuchung zu über 700 spätmittelalterlichen Juristen (Gramsch 2003), deren Material im Rahmen unseres Projektes in eine Datenbank überführt und mit netzwerkanalytischen Methoden weiter untersucht wurde.​
Hauptknoten des Pfründenbesitzes
Foto: MEPHISTO

Meldung vom: | Verfasser/in: Robert Gramsch-Stehfest & Anja Rusche

Generierung von Pfründenitineraren

Für die netzwerkanalytische Modellierung der Pfründenbiographien der Erfurter Juristen haben wir ein neues ein Modell implementiert – die Generierung von sogenannten Pfründenitineraren. Freilich handelt es sich nicht um ein Itinerar im eigentlichen Sinn, sondern es werden die Pfründenstandorte durch Links in der chronologischen Reihenfolge des Erwerbs dargestellt. Um eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen, verblieb die Darstellung auf der Ebene der Diözesen. In dem Modell werden also jene Diözesen miteinander verbunden, in denen die kirchlichen Institutionen lagen, wo ein Kleriker bepfründet war.
Im folgenden Beispiel ist der erste bekannte Pfründenbesitz des Kurialen Johannes Brun eine Kapelle in der Mainzer Diözese, die er um 1411 im Besitz hatte. Weitere Pfründen in den Diözesen Halberstadt, Hildesheim, Magdeburg und Lübeck sind im selben Jahr in seinem Pfründenportfolio bezeugt – an dieser Stelle kommt es nicht auf die genaue Reihung an, sondern darauf, dass alle diese Diözesen wie auf einer Perlenschnur hintereinander verbunden sind. Von Lübeck geht es 1413 und 1415 wieder nach Magdeburg zurück, dann nach Schwerin und Brandenburg und zuletzt wieder ins Mainzische, wo Johannes Brun seine Pfründenlaufbahn 1420 mit dem Erwerb des Dekanats am Marienstift in Erfurt krönte. So schließt sich im vorliegenden Fall der Kreis – in anderen Fällen sieht man hingegen, wie sich der Schwerpunkt einer Pfründenkarriere z.B. vom Westen in den Osten des Reiches verschiebt, oder wie er in einem Kerngebiet verankert ist, von wo es dann z.B. einzelne „Abstecher“ in andere Regionen gibt.
Vergleicht man Johannes Brun mit anderen Juristen, die in Erfurt studiert haben, fällt auf, dass die Mehrzahl von ihnen innerhalb einer oder maximal zwei Diözesen verblieben sind. Allerdings gibt es auch eine ganze Anzahl von Fällen, die in ein anderes Extrem umschlagen.

 

Netzwerke Pfründenbesitz von Johannes Helling und Johannes Brun

Foto: MEPHISTO

Johannes Helling von Münster zum Beispiel bemühte sich in 18 Diözesen um insgesamt 48 Pfründen. Der Schwerpunkt seiner Aktivitäten lag dabei im heimischen Westfalen (wo er schließlich zum Domdekan von Osnabrück aufstieg), jedoch bemühte er sich ebenfalls in Süddeutschland um Pfründen, insbesondere in Konstanz, das sich damals aufgrund seiner Gastgeberrolle für die berühmte Kirchenversammlung 1414-17 relativ weit für äußere Einflüsse öffnete. In den bayerischen Diözesen war Helling trotz vielfältiger Bemühungen weniger erfolgreich. Ausgleichend dafür konnte er aber in so abseits gelegenen Domkapiteln wie Breslau und Trient Kanonikate erwerben. Das Zickzack der Linien hin und her zwischen dem Norden und Süden Deutschlands zeigt, dass Helling zeit seines Lebens „auf dem Sprung blieb“, Chancen überall suchte und fand – es hat in seinem Fall also keine gerichtete Verlagerung seines Lebensmittel- bzw. Wirkungsschwerpunktes gegeben. Dieses Muster tritt gerade bei den an der Kurie tätigen Klerikern, den Kurialen (zu denen auch Helling gehörte), gehäuft auf, da sie in Rom „an der Quelle“ saßen und ihre Netze in viele Richtungen zugleich auswerfen konnten. Eine merkwürdige Beobachtung ist auch, dass Helling in der pfründenreichsten Diözese der deutschen Kirche, dem Bistum Mainz, überhaupt keinen Pfründenbesitz hatte.

Thüringer Gelehrte

Betrachten wir nun in einem nächsten Schritt die Pfründenitinerare größerer Gruppen von Gelehrten. Hierzu werden die individuellen Pfründenitinerare überblendet, so dass räumliche Muster entstehen, die zeigen, wie bestimmte Personenkreise, welche zum Beispiel durch gemeinsame räumliche Herkunft definiert sind, in der spätmittelalterlichen deutschen Kirche verankert waren. So weisen beispielsweise die Gelehrten, die aus Thüringen stammten (insgesamt 69) ein durchaus auffälliges Karrieremuster auf: Sie migrierten in ihren Pfründenaktivitäten ganz überwiegend nach Süden und Südwesten. Der Osten, das Baltikum und der niedersächsisch-westfälische Raum wurden von ihnen weitgehend gemieden, während umgekehrt doch recht viele Niedersachsen nach Mitteldeutschland „einwanderten“. Hier zeigen die Erfurter Daten ein berufliches Migrationsmuster, welches dem der Gegenwart überraschend ähnlich sieht – nämlich eine gewisse Ost-West- und Nord-Süd-Migration, die wahrscheinlich durch den Sog der reicher ausgestatteten Pfründenlandschaften an Rhein und Donau verursacht wurde. Bereits von Peter Moraw formulierte Thesen „Über Entwick-lungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter“ lassen sich auf Grundlage dieser Daten künftig besser validieren und vielleicht auch genauer formulieren.

Pfründen der Erfurter Juristen

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Dienstherren der Pfründeninhaber

Zuletzt sei noch ein Blick auf einige Diagramme geworfen, in denen die Pfründenitinerare nach den Dienstherren der Juristen gefiltert werden. In dieser Betrachtungsweise können wir prüfen, inwieweit bestimmte Fürsten oder auch bedeutende Städte über ihre gelehrten Räte in Deutschland in der Fläche verankert waren – was sowohl auf ihre Einflussmöglichkeiten hindeuten kann als auch auf die Reichweite ihrer Kommunikationsnetze. Hierbei ist besonders zu bedenken, dass der Blick durch die Erfurter Brille verzerrt sein kann. Immerhin erhalten wir einige plausible Befunde: Während der Erzbischof von Mainz etwa gelehrte Räte in seinem Dienst hatte, die praktisch reichsweit kirchlich-institutionell verankert waren, beschränkt sich der entsprechende Wirkungsbereich des Trierer Erzbischofs praktisch ausschließlich auf den äußersten Westen des Reiches. Reichsweite Ausdehnung hatte auch das Beziehungsnetz der königlichen Räte – dessen Ähnlichkeit zu dem des Mainzer Erzbischofs zeigt die Bedeutung des Erzbischofs als Kanzler des Heiligen Römischen Reiches, die dieser tatsächlich auszufüllen imstande war. Deutlich geringer ist hingegen die Überregionalität des Pfalzgrafen bei Rhein, welche von den gelehrten Räten der wettinischen Fürsten übertrumpft wird. Selbst die Reichsstadt Nürnberg steht mit ihrer starken Verankerung im östlichen Deutschland etwas besser da. Geradezu drittklassig ist das Beziehungsgefüge um die Landgrafen von Hessen, während sich bei den hohenzollernschen Markgrafen von Brandenburg sehr schön deren (seit 1415 bestehende) politische Doppelgleisigkeit in Franken und in der Mark Brandenburg abbildet.

Verteilung von Pfründen

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Zusammenfassung und Ausblick

Die genannten Beispiele zeigen, dass sich durch die neue Methode der Pfründenitinerare interessante Aussagen zu den Karrierewegen der gelehrten Kleriker treffen lassen. Das Potential einer datengetriebenen Forschung für prosopographische Untersuchungen ist dabei unverkennbar; durch darauf aufbauende Netzwerkvisualisierungen und -analysen können neue Hypothesen generiert werden. Doch bleibt natürlich der Blick in die jeweiligen biographischen Quellen und die Literatur die entscheidende Voraussetzung jeder weiteren Analyse. „Analoges“ und „digitales“ Arbeiten ergänzen sich und können somit in ihrer Kombination neue Erkenntnisse liefern.

Referenzen

zugrundeliegendes Datenmaterial aus

Robert Gramsch: Erfurter Juristen im Spätmittelalter. Die Karrieremuster und Tätigkeitsfelder einer gelehrten Elite des 14. und 15. Jahrhunderts (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance, 17), Leiden / Boston 2003 (Personenkatalog auf CD-ROM).


Robert Gramsch-Stehfest; Christian Knüpfer; Clemens Beck: „Information extraction from medieval sources and historical network analysis: Late medieval clerical networks in the Repertorium Germanicum“, Vortrag auf der 6th Historical Network Research conference „Historical Networks – Réseaux Historiques – Historische Netzwerke“ (online), 1.07.2021.


Robert Gramsch-Stehfest: „Prosopographie 2.0.: Digital gestützte Forschungen zu Gelehrtenbiographien im Spätmittelalter. Ein Werkstattbericht zu Fragen, Methoden und Erkenntnispotentialen“, Vortrag im Jenaer Mittelalterkolloquium, 1.7.2021.