Netzwerk von Annaten-Zahlungen an die päpstliche Kurie unter Papst Sixtus IV. (1471-1484)

Historiografie aus Grammatik und Struktur

Eine erste Anwendung unseres RG-Parsers und eine Ergänzung der Studie zum Annatenverkehr
Netzwerk von Annaten-Zahlungen an die päpstliche Kurie unter Papst Sixtus IV. (1471-1484)
Foto: MEPHISTO, CC BY 4.0

Meldung vom: | Verfasser/in: Jan Engelhardt

Einleitung

Dass die wirtschaftliche Verflechtung von Italia und Germania im späten Mittelalter bis heute einen bedeutsamen Platz in der Geschichtswissenschaft hat, bewies erst vor Kurzem wieder Kurt Weissen, der zu dem Thema 2021 eine neue Monografie veröffentlicht hat.[1]

Auch meine eigene Masterarbeit, die im Rahmen von CORE-H entstand, widmet sich dieser Thematik. Die Kooperation der Disziplinen lieferte mir einen fruchtbaren Boden, auf dem ich meine eigene Forschung aufbauen konnte.

Methodisch fungierte meine Arbeit als ein Testlauf für den von uns entwickelten RG-Parser auf Basis von Antlr.[2] Zum ersten Mal wurde das Programm für eine größere Studie angewendet. Inhaltlich fokussierte ich mich auf eine bestimmte Art Regesten im Repertorium Germanicum: die Annaten- und Servitienzahlungen. Ziel meiner Arbeit war es herauszufinden, welche Personen und Institutionen welchen Anteil am lukrativen Geschäft der Einzahlungen an der Kurie hatten.

Von der Grammatik zum Netzwerk

Die Methode meiner Untersuchung knüpft an Untersuchungen an, die Robert Gramsch-Stehfest und Christian Knüpfer bereits für die Zeit Sixtus IV (RG X) vorgenommen hatten[3]. In deren Netzwerkmodell des Zahlungsverkehrs wurde jede im Kontext von Geldzahlungen auftauchende Person als Knoten modelliert. Wenn eine Person (oder eine Bankinstitution) für eine andere Geld an der römischen Kurie einzahlte, wurde zwischen beiden Knoten eine ungerichtete Kante gezogen.

In meiner Masterarbeit nahm ich eine ähnliche Untersuchung für den Band RG III vor, der die Zeit zwischen 1409 und 1417 am Hofe der Päpste Pisaner Oboedienz behandelt. Unsere Antlr-Grammatik ist in der Lage, eine Annaten- oder Servitienzahlung als solche zu erkennen und ihre Einzelteile zu identifizieren.  Dazu gehören neben dem Namen der Person, die den Betrag entrichten muss, die Art der Zahlung, Geldmenge und Währung sowie der Name eines Einzahlers, also jener Person, die das Geld tatsächlich an der römischen Kurie einzahlt. Für den gewünschten Untersuchungsaufbau war es nötig, alle Zahlungsvorgänge aus dem Band RG III herauszuziehen und anschließend zwei Informationen zu isolieren: Den tatsächlichen Schuldner und den Einzahler. Tauchen aus diesen beiden großen Namenslisten zwei Personen im gleichen Regest auf, kann zwischen ihnen eine Kante gezogen werden. Zwei Werte wurden innerhalb des Netzwerkes berechnet: Der Grad, also schlicht die Menge an Kanten für einen Knoten (dargestellt durch dessen Größe) und die Betweenness-Zentralität, also die Menge an kürzest möglichen Pfaden durch einen Knoten (dargestellt durch dessen Farbintensität).

 

Netzwerk der Bankhäuser aus der Masterarbeit von Jan Engelhardt

Foto: Jan Engelhardt / MEPHISTO

Bankiers, Patriarchen und Karrieristen

Die vier bedeutsamsten Knoten im gesamten Netzwerk sind das Bankhaus der Medici, Aldigerio Francisci, Johannes Molner und Hermann Dwerg. Neben einer gewaltig hohen Gradzahl weist die Medici-Bank auch die höchste Betweenness-Zentralität des Netzwerkes auf. Die Bank aus Florenz übernahm so viele Einzahlungen wie kein anderer Akteur an der Kurie. Giovanni di Medici, selbst einer der Architekten des Pontifikats Johannes XXIII., begründete den Reichtum seiner Familie als persönlicher Bankier des Gegenpapstes. Im Einzahlungsgeschäft agiert er als einziger Vertreter eines Bankhauses mit der Ausnahme von Aldigerio Francisci, der das Unternehmen Alberti während des Konstanzer Konzils repräsentierte.

Die zweitgrößte Gradzahl besitzt Hermann Dwerg, der kein Bankier war, sondern ein Kleriker aus Westfalen. Hermann Dwerg hatte eine schillernde Lebensgeschichte, selbst unter Nichtbeachtung der Gerüchte, dass er als junger Mann bei Nacht aus Paris geflohen sei, weil seine angeblichen Trickbetrügereien aufgeflogen wären.[4] Dwerg studierte in Bologna und trat danach in den Dienst der Verwaltung der Römischen Kurie. Auf dem Konzil von Pisa verließ er den Römischen Papst, für den er gearbeitet hatte, zugunsten des neuen dritten Papstthrones in Pisa, was ihm unter dessen Führung hohe Ämter und Würden bescherte.  Auf dem Konzil von Konstanz verriet er wiederum den Pisanischen Papst, den er vertreten sollte, zugunsten des neugewählten Papstes Martin V. (1417-1431), in dessen Vertrauen er bis zu seinem eigenen Tod stand. Dwerg starb in Besitz eines Palazzos in Rom als ein vermögender Mann. Zu allen Zeiten hatte er Kontakt zu EINEM der Päpste und nutzte diesen Einfluss nicht zuletzt dazu, um selbst an der Kurie Geld einzuzahlen und so Gewinn zu erwirtschaften. Auffällig ist, dass sowohl Dwerg als auch die Medici einen abgesteckten Kundenkreis hatten, der zum größten Teil nicht zwischen beiden Anbietern wechselt. Da Dwerg, um den Pisanischen Päpsten Kredite zur Verfügung zu stellen, eng mit den Medici kooperierte, wie bereits de Roover nachwies[5], ist es möglich, dass beide im Bereich der Annatenzahlungen den Markt in Absprache unter sich aufgeteilt hatten. Umso beeindruckender ist, dass ein westfälischer Kleriker in der Lage war, einem gewaltigen Kreditunternehmen wie den Medici Konkurrenz zu machen.

Kunde vieler Dienstleister

Johannes Molner ist aus historischer Sicht kein allzu aufregender Mann. Er ließ im RG III drei Einzahlungen vornehmen, eine vergleichsweise geringe Anzahl, war reich bepfründet und übte zweimal in seiner Lebenszeit das Amt eines Kollektors aus. In den Überlieferungen taucht er außer in den RG-Bänden, die einen soliden Überblick über sein Leben geben, nirgendwo auf. Eine Gleichsetzung Johannes Molners mit ähnlich klingenden Namen in den Matrikellisten diverser Universitäten bleibt schwierig. Im Netzwerk fällt Molner durch seine vergleichsweise hohe Betweeness-Zentraltität auf. Diese rührt daher, dass er seine Einzahlungen durch drei verschiedene der großen Anbieter vornehmen ließ: Durch das Bankhaus Medici, das Bankhaus Alberti und Hermann Dwerg. Damit ist Molner singulär im Netzwerk. Diese Position lässt den wenig beachteten Mann um einiges interessanter erscheinen. Offenbar kannte er als einer der wenigen die krisengeschüttelte Kurie gut genug, dass er auf einer bestimmten Basis Entscheidungen treffen konnte, wen er mit einem Auftrag betraute.

Ein erster Schritt

Die Ergebnisse meiner ersten Untersuchung bewiesen deutlich, dass die Methode anwendbar und lohnenswert ist.  Sie zweigte aber auch Verbesserungsbedarf an der zugrundeliegenden Technik. Nach wie vor arbeiten wir an einer Methode, Namen und Orte effektiv zu identifizieren. Eine Möglichkeit der Geolokalisation könnte der Untersuchung noch eine weitere, interessante Komponente hinzufügen. Noch ist das Sample sehr klein. Eine Untersuchung aller Bände des RG oder auf lange Sicht sogar aller Einträge des vatikanischen Kassenbuches, nicht nur wie im RG auf das Heilige Römische Reich beschränkt, verspricht faszinierende Ergebnisse.

Referenzen

[1]             Vgl. Kurt Weissen: Die Marktstrategien der florentinischen Banken bei der Kurie. Die Geschäfte der Alberti, Medici und Spinelli in Deutschland (1400-1475). Heidelberg 2021.

[2]             Siehe https://www.mephisto.uni-jena.de/blog/die+notwendigkeit+einer+grammatik 

[3]             Siehe https://www.mephisto.uni-jena.de/blog/netzwerke+von+annatenzahlungen+an+der+r%C3%B6mischen+kurie

[4]             Diese Episode überliefert Hermann von Weinsberg etwa 100 Jahre nach Dwergs Tod in seinem Liber Iuventis. (Vgl. Liber Iuventis, 69ff.)

[5]             Vgl. de Roover, Raymond, rise and Decline of the Medici bank, 1397-1494, New York 1966, S. 210.